Ada - Leseprobe

15 Publikum zu wenden. Später erfuhr ich, dass man so etwas unter Schauspielern einen falschen Abgang nannte, ein Trick, um dem darauffolgenden Satz zu größerer Wirkung zu ver- helfen. »Meine Damen und Herren … liebe Zuschauer … die Grenzen sind offen.« Niemand reagierte. Er starrte uns ungläubig an, und trippelte an die Rampe. »Das war kein Witz, liebe Zuschauer … meine Damen … meine Herren … die Mauer … die Mauer ist gefallen … es wurde gerade im Fernsehen verkündet.« »Im Fernsehen, ist ja zum Piiiiiepen«, hätte meine Mut- ter jetzt gerufen, wenn sie neben mir säße, aber da saß sie nicht. Für einen Moment glaubte ich, sie zu vermissen. An dem Tag, an dem ich zum zweiten Mal heiratete, hatte es geknallt. Meine erste Hochzeit hatte in den Siebzigern statt- gefunden, ein Irrtum, kurz und schmerzlos, nicht mehr als eine Wolke am fernen Horizont. Und dann war eine billige Uhr von Tchibo der Startschuss für ein nicht enden wollen- des Zerwürfnis von zunehmend alttestamentarischer Wucht gewesen. Fünf Jahre war das her, und seit achtundzwanzig Jahren durchzog eine Mauer diese Stadt. Als ich sie mit neun Jahren zum ersten Mal schwankend betreten hatte, nach dreiwöchiger Schiffsfahrt auf der Juan de Garay aus Buenos Aires nicht mehr an festen Boden gewöhnt, war sie noch un- geteilt gewesen, aber schon zerrissen. Keine Heimat. War es auch das, worüber wir seit fünf Jahren schwiegen? Zögerlich tröpfelte Applaus in die Stille. Die Menschen schienen es zu begreifen. Die Mauer war gefallen. Nach der Vorstellung suchte ich klopfenden Herzens den Bühneneingang. Ich fühlte mich an den Personal- und Lie- feranteneingang verschiedener Hotels erinnert, in denen ich quer über den Globus verteilt gearbeitet hatte, bevor ich

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